Verletzung

Auf unserer Winterwanderung fällt mir ein Baum ins Auge, er springt mir regelrecht in den Weg. Warum?

Mit einer Übung der Achtsamkeit für die Umgebung gehen wir den Weg Richtung Feckenhausen. So oft schon bin ich diesen Weg gegangen – und heute bemerke ich erstmals diesen besonderen Baum. Es ist eine Buche, die im Gesamten sehr vital aussieht. So vital Bäume im Winter eben aussehen. Aber sie scheint es schon sehr schwer gehabt zu haben.

Unten an ihrem Stamm fällt die sehr interessante Struktur der Rinde ins Auge. Der Baum muss vor langer Zeit einmal sehr schwer verletzt worden sein. Offenbar sogar mehrmals. Der Stamm ist moosbedeckt und die Rinde bis tief ins Holz hinein in mehreren Schichten beschädigt. Das Moos bildet einen weichen Mantel, über den man einfach streichen muss. Die Verletzungen sind gut vernarbt und bilden sehr schöne, interessante Formen. Im Kern, der tiefsten Schicht, ist das Holz hellgrün gefärbt. Wahrscheinlich eher moosgrün. Dieses „Auge“ leuchtet regelrecht. Die Buche scheint aus ihrem Innersten zu strahlen.

Obwohl der Baum sichtlich Schlimmes erleiden musste, habe ich nicht das Gefühl, dass er „arm dran“ ist. Hätte er diese Verletzung nicht, so wäre er mir gar nicht ins Auge gestochen. Trotz der Einschnitte konnte die Buche weiter wachsen und entwickelte sich zu etwas ganz Besonderem. Dass sie es geschafft hat zu überleben, zeugt von einem starken, lebenswilligen Baum.

Auch wir Menschen erleiden Verletzungen. Die schlimmsten Beschädigungen, die seelischen Verletzungen, sind nicht so direkt sichtbar wie dieses Gebilde am Stamm der Buche. Trotzdem verändert jeder Einschlag im Leben, jede Schwierigkeit, jedes schwere Erlebnis unsere Ausstrahlung. Wenn es uns gelungen ist, nicht an der Verletzung kaputt zu gehen, macht sie uns stark. Das spüren auch unsere Mitmenschen.

Ich bin tief beeindruckt und werde nun bei jedem Spaziergang dort im Wald diesen Baum besuchen.

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