Abschied 2

Von meiner ehemaligen Wohnung kann ich nun endgültig Abschied nehmen. Sie ist leer und wartet auf die Übergabe an den Vermieter bzw. die Nachmieter.

Ich stehe im Flur. Wie viel Leben war in meiner Zeit in diesem Bereich gewesen. 14 Meter Flur, in dem sich viele Menschen aufgehalten hatten. Im Zuge der Narrenstube, bei den Adventskaffees mit den Kollegen, bei diversen Einladungen.

Das Zimmer meiner Tochter. Hier spüre ich den Schmerz, den meine Tochter ertragen musste. Wie gut, dass sie nun, zumindest in meiner Wahrnehmung, ein stabiles Leben hat. Als der Schmerz verebbt, öffne ich das Fenster und „schaufle“ diese Energie nach draußen.

Ganz anders fühlt sich das Wohnzimmer an. Dieses Zimmer ist schon besonders mit seinem spektakulären Blick über die historische Innenstadt auf den Kapellenturm, den Langen Berg und die Schwäbische Alb. Hier spielten sich viele schöne gemeinsame Runden ab. Essen mit der Familie, mit Freunden, die Narrenstube, unzählige Frühstücke mit Marcus, Arbeitstreffen mit Kollegen, Zweisamkeit und später Einsamkeit. Hier war der Mittelpunkt unserer Trauer-WG in den Tagen nach Marcus‘ und Carens Tod. Das war eine ganz besondere Zeit. Auch in diesen Tagen kamen viele Menschen in diesen Raum. Es ist ein schönes Gefühl, eine Dankbarkeit für alles Erlebte.

Im „Bubenzimmer“, das mein Sohn und mein Bruder bewohnten, spüre ich die Schwere, die mein Sohn einige Zeit lang erleben musste. Auch dies schicke ich aus dem geöffneten Fenster.

Die Küche ist bereits ganz mein Bruder, der einzige Raum, den er richtig für sich erobert hatte. Hier habe ich nichts mehr zu tun.

Tiefe Dankbarkeit und auch Zufriedenheit erfüllt mich in meinem ehemaligen Arbeitszimmer. Hier durften so viele Inspirationen in die Tat umgesetzt werden. Viele Unterrichtsstunden wurden hier vorbereitet. Ich arbeitete kreativ. Es war ganz und gar mein Zimmer. Fröhlich entlasse ich auch diese Energie aus dem Raum.

Das Schlafzimmer schickt mir noch einmal allen Schmerz über den Verlust. Hier habe ich Marcus zuletzt am Freitagmorgen, dem 11. Dezember 2015 um 5 Uhr gesehen. Wir haben uns verabschiedet und darauf gefreut, uns nach dem Wochenende wieder zu sehen. Dieser Raum war der Schwierigste bei meiner Abschiedsrunde. Aber auch hier konnte ich das Vergangene loslassen und hinausschicken.

In tiefer Dankbarkeit verabschiede ich mich noch von der Wohnung im Gesamten, lege den Schlüssel in ein Zimmer und schließe die Wohnungstür von außen. Es ist vorbei. Der Abschied war sehr anstrengend. Ich fühle mich befreit.

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