Fluss des Lebens

Heute habe ich nur Zeit für die kleine Runde. Ich gehe sie aber einmal in der anderen Richtung. Im Sommer musste ich immer zuerst auf den Langen Berg und dann am Neckar entlang zurückgehen. Dies schuldete ich Nina, meiner treuen Begleiterin. Sie ist nicht mehr jung mit ihren 13 Jahren. Nach einer Runde in der Sommerhitze, auch wenn es immer morgens war, hatte Nina großen Durst und wollte sich abkühlen. Da kam uns der Neckar sehr gelegen. Am Anfang der Runde hatte Nina noch kein Bedürfnis nach Abkühlung. Deshalb also immer nur die gleiche Richtung.

Heute aber zuerst am Neckar entlang. Das Wetter ist ruhig und gleichmäßig grau. Es ist nicht sehr kalt.

Ohne große Bewegung fließt der Neckar langsam vor sich hin. Ich bleibe stehen und mache ein Foto. Bunte Blätter schwimmen auf dem Wasser wie kleine Schiffchen. An den blätterfreien Stellen spiegelt sich das gegenüberliegende Ufer. Ein wunderschönes Bild.

Dann gehe ich weiter. Hoppla! Das Wasser scheint plötzlich still zu stehen. Interessant! Wenn ich still stehe, sieht man das Fließen des Wassers – bewege ich mich in die gleiche Richtung, nimmt man Stillstand wahr.

Wie im Leben – es kann an mir vorbeifließen. Das ist nett anzusehen, aber ich bin dann nicht so richtig dabei. Setze ich mich selbst in Bewegung, bin ich Teil des Stromes. Ich bewege mich vorwärts, ganz im Tempo und Rhythmus des Lebens.

Und wenn ich schneller gehe als das Wasser? Ich lege einen Zahn zu. Wenn ich schnell genug bin, müsste das Wasser in meiner Wahrnehmung eigentlich rückwärts fließen. Das wäre doch logisch, oder? Immer schneller gehe ich, renne schließlich. Aber nein, es entsteht kein Eindruck des rückwärts Fließens.

Das ist eigentlich beruhigend. Es ist gut, im Strom des Lebens zu schwimmen. Überholen können wir das Leben aber nicht. Manchmal scheint es so schnell zu sein, dass wir immer nur hinterher rennen müssen. Das empfinden wir früher oder später als Stress. Je nach Belastbarkeit oder Toleranz werden wir krank daran. Wie schön wäre es doch, wenn alle das Tempo ihres Lebens an den natürlichen Strom anpassen könnten! Seit ich nur noch freiberuflich arbeite und meine Zeit freier einteilen kann, hat sich mein Leben an diesen naturgegebenen Strom angepasst. Es hat sich deutlich entschleunigt. Ich wünsche mir, dass ich dies beibehalten kann. Euch wünsche ich ebenfalls, dass ihr wenigstens punktuell entschleunigen könnt. Man hat nicht mehr vom Leben, wenn man es schneller lebt. Wie sehr ein Leben erfüllt ist, hängt nicht von der Geschwindigkeit ab, sondern von der Intensität.

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