Eschachtal

Heute habe ich mein Auto in der Werkstatt abgegeben. Es muss TÜV gemacht werden. Die Dissenhornrunde fällt also aus. Wie jeden Tag ziehe ich Wanderschuhe und den Anorak an und nehme den Rucksack mit. Zusammen mit Nina gebe ich das Auto ab und gehe einmal in eine ganz andere Richtung.

 

Von hier aus ist es nicht sehr weit über den Berg nach Bühlingen. In diesem Teilort hatte mein verstorbener Lebensgefährte Marcus ein Haus, das kurz nach seinem Tod verkauft worden war.

Von der Saline her komme ich nach Bühlingen. Aber wo ist sein Haus? Es sticht deutlich aus der Reihe der ehemaligen Bauernhäuser entlang der Straße heraus, weil Marcus es orange lasiert hatte. Ich sehe aber kein Orange. Kann ich auch nicht. Beim Näherkommen sehe ich, dass das Haus komplett neu gestrichen ist. Das Dach des Wohnteils ist neu gedeckt. Vor dem Haus sind Mäuerchen in der Farbe des Hauses angebracht. Es sieht ordentlich und nett aus. Aber eben auch nicht mehr. Es ist nichts Besonderes mehr. Ich stelle fest, dass es mir etwas weh tut. Nun hat das Haus Marcus endgültig verloren. Keine Spur ist hier mehr von ihm zu erkennen.

 

Neben dem Haus geht ein Weg bergauf, den wir oft gegangen sind. Ich gehe jedoch spontan nicht über das Brückchen, sondern links weiter bergauf. Man kommt so zu einer Wiese. Auf dieser Wiese haben wir im Sommer immer wieder mit Marcus‘ Teleskop die Sterne angeschaut. Meine Kehle wird eng, Tränen steigen hoch. Es ist ein schwieriger Ort. Aber mit schönen Erinnerungen besetzt. Dass ich schon sehr weit in meinem Trauerprozess bin, hilft mir, auch mit dieser Situation schnell zurechtzukommen. Ich halte inne und sehe mich um. Dann gehe ich weiter und denke an unsere schönen, gemeinsamen „Sternstunden“.

 

Der Weg ist sehr abwechslungsreich. Mal geht er als kleiner Pfad steil abwärts, mal aufwärts. Zwischendurch ein Stückchen Schotterweg, mit Laub bedeckt. Dann entlang der Eschach über eine Wiese. Idylle pur. Ich tauche ganz in die Landschaft ein und genieße nur noch. Keine tiefen Gedanken. Keine schweren Gedanken. Nur noch Naturgenuss. Die Wege erfordern meine Aufmerksamkeit, denn ich möchte nicht auf den Wurzeln ausrutschen. So geht es durch das Eschachtal, am Eckhof vorbei, auf der anderen Seite wieder den Berg hinauf. Oberhalb von Deißlingen angekommen, gehe ich auf dem Wirtschaftsweg durch den Wald komfortabel und schnell bis nach Hochhalden. Dann hat der Genuss ein Ende. Jetzt kommt der Pflichtteil. Entlang der Landstraße hinunter nach Bühlingen und durch den Ort bis zurück nach Rottweil, nach Hause.

Es war ziemlich weit. Nach zweieinhalb Stunden ist Nina sichtlich müde und steht noch nicht einmal auf, als ich einige Minuten später starte und mein Auto in der Werkstatt abholen gehe.

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