Frost

Die ganze Landschaft ist von Zuckerguss überzogen. Es ist natürlich der Frost, der alles wie verzaubert und gezuckert erscheinen lässt.

Die Grashalme sehen sehr zerbrechlich aus, wenn sie so tiefgefroren sind. Mir kommt der Gedanke, ob sie nun einfach abbrechen, wenn ich sie biege. Nein, sie lassen sich biegen. Es könnte doch sein, dass das braune, vertrocknete Gras bricht. Darin befindet sich kein Leben mehr, oder zumindest nur noch sehr wenig. Das muss wohl so sein, dass die Grashalme immer verletzlicher werden, je weniger Lebendiges im Innern noch ist.

Dachte ich. Ist aber nicht so. Alle Grashalme bleiben biegsam, die grünen genauso wie die braunen. Tja, falsch gedacht. Vielleicht ist aber der Frost nur zu wenig. Wir kennen doch alle den Versuch im Chemieunterricht, wo eine Rose in flüssigem Stickstoff schockgefrostet wird und dann mit einem Schlag auf die Tischkante zerbricht. Das bisschen Frost ist eben nicht kalt genug.

Es gibt aber auch Dinge, die erst durch den Frost gut werden. Schlehen zum Beispiel. Jeder weiß, dass Schlehen nicht genießbar sind, wenn sie noch keinem Frost ausgesetzt waren. Erst nach der Kälte sind sie süß und können verarbeitet werden.

Die Entwicklung in einem Menschenleben hat damit eine gewisse Ähnlichkeit. Je mehr Frost, also Schweres, ein Mensch erlebt hat, desto weiser wird er. Alte Menschen, die schon viel erlebt haben, zeigen eine Weisheit, die man als junger Mensch einfach nicht haben kann. Schwere Prüfungen, Einschläge in unserem Leben lassen uns reifen. Wenn wir uns nicht davon unterkriegen lassen, werden wir immer gehaltvoller, immer reifer und weiser. Wie die Schlehen, wenn sie tiefgefroren waren.

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